Zeitschrift für Ideengeschichte Heft VI4 Winter 2012: Droge Theorie by Ulrich Raulff Stephan Schlak

Zeitschrift für Ideengeschichte Heft VI4 Winter 2012: Droge Theorie by Ulrich Raulff Stephan Schlak

Autor:Ulrich Raulff, Stephan Schlak [Ulrich Raulff, Stephan Schlak]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783406649875
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


IV.

Als ich mit dieser Recherche begann, wurde das Rätsel um Cardenio lediglich von einigen Eingeweihten diskutiert, die bereit waren oder sich weigerten, in Double Falsehood Spuren eines von Shakespeare geschriebenen Stücks zu entdecken. Das ist heute anders. Seit einigen Jahren hat nämlich ein veritables Cardenio-Fieber England und die Vereinigten Staaten erfasst. Mehrere Romanciers haben das Geheimnis des verlorenen Stücks zum Gegenstand einer Kriminal- oder Detektivgeschichte gemacht. Der erste war 2002 Jasper Fforde. In seinem Roman In einem anderen Buch stößt die Heldin, Thursday Next, Agentin der «LitAgs» im Geheimdienst «Special Operations Network», in der Bibliothek von Lord Volescamper auf das Manuskript des Cardenio. Platziert wurde es dort von dem Politiker Yorrick Kaine, der es zuvor aus der «Großen Bibliothek» gestohlen hatte und sich bei den anstehenden Wahlen die Stimmen der «Shakespeare-Wähler» sichern will, indem er diesen verlorenen Schatz der Öffentlichkeit zugänglich macht.[8] 2007 ist es in Jennifer Lee Carrells Die Shakespeare-Morde eine Höhle in Arizona, in der Kate Shelton auf einem Grab ohne Grabstein das Cardenio-Manuskript findet, das zusammen mit einem Exemplar des spanischen Don Quixote die Zeiten in einem Pferdesattel überdauert hat.[9]

Das Motiv des verschollenen und wiedergefundenen, des vergessenen und wiederaufgetauchten Manuskripts ist so alt wie die erzählende Literatur. Überraschender und spektakulärer als der Umstand, dass das Geheimnis um ein verschollenes Werk von Shakespeare die Fantasie zeitgenössischer Romanciers anregt, ist die Tatsache, dass Cardenio seit rund fünfzehn Jahren, und damit bereits vor seiner Thematisierung in manchen Romanen, auf englischen und amerikanischen Bühnen präsent ist. Es ist durchaus nicht selbstverständlich, ein Stück zu spielen, das es nicht gibt – oder nicht mehr. Um es dennoch zu tun, haben sich Stückeschreiber und Regisseure auf verschiedene Möglichkeiten besonnen. Die erste besteht darin, Cardenio gar nicht für verschollen zu halten. Bei dieser Variante hat der Text überlebt, jedoch unter einem anderen, ihm fälschlicherweise gegebenen Titel. Für diese Lösung entschied man sich bei dem Cardenio, der im Februar 1995 auf dem Palm Beach Shakespeare Festival und im März 1996 im New Yorker Linhart Theater aufgeführt wurde. Ermöglicht wurde das literarische Wunder durch ein im Jahr zuvor veröffentlichtes Buch von Charles Hamilton, der Cardenio mit dem Manuskript eines überlieferten Stücks identifizierte; diesem habe der «master of revels» – vulgo Zensor – Sir George Buc den Titel The Second Maiden’s Tragedy gegeben, nachdem sich im ganzen Manuskript kein Titel fand.[10]

Charles Hamiltons Hypothese hat die Kritik bei weitem nicht überzeugt. Wenn auch, wie bereits erwähnt, die Nebenhandlung von The Second Maiden’s Tragedy ohne Zweifel auf den drei Kapiteln des Don Quixote über die Geschichte der unbesonnenen Neugier beruht, lässt sich doch in seiner Haupthandlung – der Tyrann begehrt die von Govianus, dem um seine Ansprüche gebrachten legitimen Thronerben, geliebte Frau – nicht der geringste Zusammenhang mit Cardenios Novelle im Don Quixote ausmachen. Auf den englischen und vor allem den amerikanischen Bühnen jedoch hat das als Wiederentdeckung eines Shakespeare (und Fletcher) geltende Stück Furore gemacht.

Eine solche Gleichsetzung des verschollenen Cardenio mit einem vorhandenen Stück ist jedoch nicht die einzige Möglichkeit, es aufzuführen. Eine weitere bietet Theobalds als «Neubearbeitung» und «Adaption» des Werks von 1613 bezeichnetes Double Falsehood.



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